Der erste Fall für Andy Mücke.

Für ein Boulevardblatt ist Mona de la Mare der Shootingstar unter den Selfpublishern. Doch das Urteil täuscht! Die junge Autorin steht erst am Anfang ihrer bislang stotternden Karriere. Noch muss sie sich um alles kümmern. Auch um ihre Lesereise, die in diesem Jahr immerhin erfolgreich startet. Aber die Freude ist nur von kurzer Dauer: Wenige Sunden nach ihrer Lesung wird Mona in Bad Münstereifel erstochen, ihre Leiche erst am folgenden Morgen unter einer Erftbrücke entdeckt.

Die eigenwillige Autorin hinterlässt eine kleine, treue Fangemeinde, rätselhafte Manuskripte und reichlich Geld. Von Monas Vater erhält Detektiv Andy Mücke den Auftrag, mehr über das Leben seiner ihm so fremd gewordenen Tochter herauszufinden, die eigentlich Ramona Töpfer heißt

Leseprobe:

Es war ruhig geworden in der Fußgängerzone. Im Geschäft gegenüber gingen gerade die Scheinwerfer aus. Die noch mit Luftschlangen behangenen Trachtenjacken hatte sie sich vorhin auf der Straße angesehen, bevor ihr der eisige Wind zu ungemütlich geworden war. So etwas würde sie niemals tragen, für kein Geld der Welt. Und für einen Mann schon gar nicht. Aber die karamellfarbene Steppjacke aus einem der Läden davor würde sie sich morgen zeigen lassen. Bei dem Preis würde sie nicht widerstehen können, das wusste sie schon jetzt.

Mona war mit dem Abend in Bad Münstereifel zufrieden, auch was ihre eigene Leistung betraf. Sie war souveräner und schlagfertiger geworden, ohne überheblich zu wirken. Reinfälle wie noch vor einem Jahr hatte es auf dieser Tour nicht gegeben. Aber da waren es lediglich sporadische Veranstaltungen gewesen, die sich zufällig ergeben und die sie regelmäßig vorher nervös gemacht hatten. Die Anzahl der Lesungen hatte sie deutlich steigern können. Sie war besser organisiert und Routine war ebenfalls hinzugekommen. Eine kritische Frage konnte sie nicht mehr aus dem Konzept bringen oder erröten lassen. Heute war sie trotzdem nervös gewesen, grundlos. Es gibt solche Tage, sagte sie sich. Mit dieser Stadt oder dem Aschermittwoch verband sie nichts, was diese Aufgeregtheit erklären könnte.

Im Amadeus wartete sie nun auf ihren gemischten Salat und bestellte ein zweites Kölsch, indem sie das leere Glas anhob. Die Bedienung nickte. Vorlesen macht durstig! 14 Besucher waren gekommen – nicht gerade umwerfend, aber auch nicht schlecht. Fünf Hurensöhne hatte die Buchhändlerin verkauft, vier davon musste Mona anschließend signieren. Ihren Roman aus dem Vorjahr Phantome der Nacht konnte die Buchhandlung angeblich nicht rechtzeitig beziehen, den Band mit den 18 Kurzgeschichten ebenfalls nicht. Eine passende Bemerkung dazu hatte sie intuitiv im letzten Moment unterdrückt. Ans Signieren hatte sich Mona de la Mare gewöhnt. Es gefiel ihr, von Fremden darum gebeten zu werden, ihren Namen in das gekaufte Buch zu schreiben. Manche wollten eine persönliche Widmung, als wäre Mona schon eine bekannte Autorin. Aber vielleicht glaubten diese Leute, dass sie es schaffen würde – so, wie sie es selbst auch glaubte. Wie hieß noch mal die Frau, deren Namen sie sich buchstabieren lassen musste? Mona dachte angestrengt nach, kam aber nicht drauf. Es war ein altdeutscher Name, da war sie sich sicher. Ihr ließ es keine Ruhe, sie gab die Frage nach alten Frauennamen in den Laptop ein und postete auch das. Dass ihre Lesung ein Erfolg war, wie sie vorhin geschrieben hatte, gefiel den Freunden im Minutentakt. Katja aus Kiel, eine junge Autorin, tat sprachlos: Dreißig Fans, du bringst es! Ich wusste es immer schon … Netter Kommentar, wie alle anderen davor. Oder wie der gerade angezeigte: Der Hammer! Die Freunde machten Mut, man kannte sich eben. Mona hatte in zwei Sätzen die Veranstaltung im Saal oberhalb der Buchhandlung Leserei kommentiert und von einem großartigen Publikum berichtet. Darunter ein Bild mit der gut gelaunten Autorin, lässig mit einem Weinglas in der Hand vor einem der länglichen Fenster. Das Foto hatte eine Besucherin mit Monas Handy geschossen – man sah deutlich, dass die Dame darin ungeübt war. Sie hätte besser jemand anderen oder diesen widerlichen Pressefritzen darum gebeten, der es gerade eine halbe Stunde ausgehalten und ihr Buch offensichtlich nicht gelesen hatte. Solange der Artikel vorteilhaft war, sollte ihr das egal sein. Hatte er überhaupt ein Foto gemacht? Sie konnte sich nur an seinen verschmutzten karierten Notizblock mit Ringelbindung erinnern. Und an seinen ekelhaft säuerlichen Geruch. Vor Beginn der Lesung hatte ihr diese Einschlafhilfe die typischen Fragen gestellt: wo sie ihre Themen findet; wie man zur Autorin wird; wer ihre Vorbilder seien und den Blödsinn mit der Zielgruppe. Das übliche Blabla! Sie log auch am zwölften Tag ihrer Lesereise, was das Zeug hielt. Ehrlich war sie lange genug gewesen, das führte in diesem Geschäft zu nichts.

Jetzt starrte ein Pärchen an ihr vorbei ins Lokal. Vorhin stand da dieser bärtige Knilch, der zu Beginn der Lesung ganz hinten gesessen hatte. Er war sofort weitergegangen, nachdem sie ihn entdeckt hatte. Irgendetwas stimmte mit dem nicht, aber was? Sein Gang kam ihr bekannt vor, das war doch nicht … Blödsinn, was sollte dieser aufgeblasene Spinner hier? Außerdem hasste er nichts mehr als Hüte. Sie schaute zu viele schlechte Filme, das war alles. Sie fühlte sich halt unwohl, wenn sie von draußen so beobachtet wurde, fand es aufdringlich. Sonst gefiel ihr der Platz direkt am Fenster. Die Heizung tat ihr Bestes, nur wenige Zentimeter vom Oberschenkel entfernt. Wie angenehm! Wäre sie häufiger hier, wäre das mit Sicherheit ihr Stammplatz, allen Glotzern zum Trotz.

Der Salatteller fiel üppig aus, das Brot würde sie nicht anrühren, höchstens einmal probieren. Die Berliner Currywurst hätte sie ebenfalls gereizt, aber sie hatte sich erst gestern eine Pizza gegönnt und auch die war riesig ausgefallen. Lecker wie die Margherita war, hatte sie die komplett verputzt. Die Vernunft war zu Hause geblieben, die musste nicht überall dabei sein.

Eigentlich hätte sie ruhig jemand aus der Buchhandlung begleiten können, dachte sie. Wenigstens auf ein Bier, wo sie doch am frühen Abend deren Gast gewesen war. Wahrscheinlich waren sie froh, es überstanden zu haben, denn Mona hatte sich selbst um diese Lesung bemüht und musste mehrmals telefonisch nachfragen, bis sie endlich ihr Okay gaben. Das brauchte aber keinen zu interessieren. Lange würde sie das nicht mehr nötig haben – demnächst würde sie den Spieß umdrehen, wenn ihr Stern aufgegangen war … Noch war sie unbekannt oder, wie ihre Freunde immer sagen, ein Geheimtipp! Die vierwöchige Lesereise hatte sie selbst organisiert, dafür verzichtete sie im Sommer auf den Mallorca-Urlaub. Aber ihre Tour war auch so etwas wie Urlaub, und an drei Orten gab es immerhin ein kleines Honorar. In Mainz hatten sie ihr sogar das Hotel spendiert. Geld hat sie zwar genug, aber diese Einnahmen waren etwas Besonderes. Das hing mit der Autorenehre zusammen – wer je etwas Künstlerisches auf die Beine gestellt hatte, verstand das.

Draußen konnte man sich immer noch nicht entscheiden, das Lokal zu betreten. Zwei Schritte vor, zweieinhalb zurück. So schwer kann es doch nun wirklich nicht sein! Schade, dass nicht wenigstens Uli hier war, heute hätte sie ihn gern bei sich gehabt. Der mit seinem blöden Handball-Training! Und wofür das alles? Er war doch sowieso nur Reservespieler in der Oberliga. Andere Männer hätten sich darum gerissen, hier mit ihr sitzen zu dürfen.

Morgen würde sie sich nach einem verspäteten Frühstück die Stadt, die Burg und natürlich die reduzierte Steppjacke anschauen, bevor es weiterging nach Nettersheim. Dort hatten sie sich nicht so lange bitten lassen und den Termin früh bestätigt. Im Literaturhaus kannte man sie anscheinend, so sollte es sein. Im Amadeus ahnte Mona de la Mare an diesem Abend noch nicht, dass sie das Frühstück nicht mehr erleben würde, geschweige denn Nettersheim.

Nach dem Essen bestellte sie sich einen Kaffee und ein stilles Wasser. Leseratte Magenta gratulierte ihr im Netz euphorisch zu der Lesung. Sie postete außerdem, dass sie gerade eine Rezension zu den Hurensöhnen geschrieben habe: Fünf Sterne für meine Liebste, das Buch ist der Knaller! Sehen wir uns in Leipzig?

Die Besprechung musste sie sich sofort anschauen. Mona überflog hastig den lobenden Text. Super! Magenta, die Süße, hatte sich richtig Mühe gegeben! Wow, auch in den Verkaufsrängen war ihr Buch im Laufe des Tages nach oben gerutscht. Mona zog den Laptop ein Stück nach vorne, dann tippte sie: *Megakreisch* Ich liebe deine Rezi!!! Dahinter setzte sie drei Smileys und einige Herzchen. Sie teilte den Beitrag in mehrere Literatur-Gruppen. Das tat sie immer – alle sollten wissen, wie toll ihr Buch bei den Lesern ankam.

Langsam füllte sich die Bar. Auf einer großen Leinwand im Nebenraum wurde ein Spiel der Champions League angekündigt. „Achtelfinale“, hörte sie jemanden sagen, der wirklich klasse aussah. Er hatte etwas Südländisches an sich – das andere konnte sie nicht so genau bestimmen. Vielleicht etwas Asoziales, irgendwie. Ein Typ wie Mustafa, aber mindestens einen Kopf größer. Und Musti war schon geil mit seinem strammen Körper und der undefinierbaren Kunst darauf. Nebenan wurde diskutiert, ob Schalke gegen Real eine Chance hätte. Ihr war es egal, sie interessierte sich nicht dafür. Genauso wenig wie für Handball – sollten sie ruhig alle haushoch verlieren und die Fans wütend machen.

Der Kellner, möglicherweise war es auch der Inhaber, entschuldigte sich für den zerbrochenen Keks auf der Untertasse und fragte, ob der Ton störe, ob es nicht zu laut sei. Mona verneinte, sonst würde sie sich schon melden. Das solle sie ruhig machen, ermutigte er sie. Er erkundigte sich, ob sie von hier sei, er hätte sie noch nie gesehen. Nein, sie käme vom Niederrhein, antwortete sie, aus dem Neusser Raum. Aus einem Ort bei Grevenbroich, um genau zu sein. Aus einem Kaff, um bei der Wahrheit zu bleiben. Quasi aus der Pampa. Ihr zaghaftes Lächeln entblößte weiße Zähne, deren Wirkung durch den Lippenstift verstärkt wurde. Er wollte wissen, was sie denn zu dieser Jahreszeit in die kalte Eifel getrieben habe, in der sicherlich nicht mehr los sei als in ihrem Kaff. Den Faden griff sie gerne auf. Nun, sie sei als Autorin eingeladen gewesen und habe hier gelesen. Nicht in der Stadtbücherei, in der Leserei habe sie ihren neuen Roman vorgestellt. Sie deutete mit der Hand in die entsprechende Richtung, als müsste eine Fremde ihm den Weg erklären. Diesen Gedanken hatte er wohl ebenfalls. Der Mann grinste, fragte nach der Besucherzahl und ob es gut gewesen war. Lesungen wären in Bad Münstereifel nicht gerade an der Tagesordnung, schön, wenn so ein wenig kulturelles Leben in die Stadt käme. In der Zeitung, sagte er, sei die Veranstaltung angekündigt worden. Er hatte ein gutes Gespür für seine Gäste, das gefiel ihr. Er schien auch auf alles eine Antwort zu haben.

Die hatte er wenig später allerdings in Form von großen runden Augen, als sie ihm ihren Namen und den Titel des neuen Buches nannte: Passwort Hurensohn. So viel zum kulturellen Leben! Mathes wurde zum Tresen gerufen, weil die junge Bedienung, vielleicht eine Aushilfe, mit einem Cocktail nicht zurechtkam. Im Weggehen wiederholte er, jede Silbe betonend, ihren Namen: „Mo-na-de-la-Ma-re.“ Sie hörte ihn „Ach, du leefer Jot!“ murmeln; unklar, ob die Bemerkung noch ihr galt oder schon einem möglichen Durcheinander hinter der Theke. Bestimmt überlegte er beim Mixen, wie solch ein provozierender Buchtitel zu ihrem sanften, unschuldigen Kindergesicht, dominiert von der Stupsnase, passen könnte. Das fragten sich nämlich viele. Die 32, die sie vor wenigen Tagen geworden war, sah ihr keiner an. Es war noch keine acht Jahre her, als man sie in einem Restaurant vor der Bestellung gefragt hatte, ob sie schon einen Ouzo haben dürfte. Was zunächst wie ein Kompliment geklungen hatte, meinte der verunsicherte Kellner durchaus ernst. Sie orderte sofort einen zweiten hinterher, bedankte sich mit dem griechischen Efcharisto, das sie auf der Papierserviette entdeckt hatte, und beachtete ihn nicht weiter. Sie war sich nicht sicher gewesen, ob sie sich über die dumme Frage ärgern oder freuen sollte. Am folgenden Tag hatte sie es lustig gefunden.

Eine letzte Mitteilung für heute, damit sollte es dann gut sein: Happy End? Ihr Lieben, ein kleines E-Book noch und ich kann mich über einen neuen Verkaufsrekord freuen. Mag mich jemand unterstützen? Als Mona den Laptop in die schwarze Ledertasche steckte, war die Anspannung des Abends restlos gewichen. Und plötzlich war auch der gesuchte Name wieder da: Luitgard. Sie notierte ihn sich auf dem quadratischen Bierdeckel. Man weiß nie. Irgendwann würde sie einen historischen Roman schreiben. Aussichtslose leidenschaftliche Liebe mit verdorbener Erotik im brutalen Mittelalter, so etwas lässt sich immer verkaufen.

 

Mona hatte den Mantel schon angezogen, als von der Theke her eine Frau mit einer bunten Plastiktüte unterm Arm zu ihr kam. Sie sagte, ihr habe die Lesung gefallen, sehr gut sogar, und fragte die Autorin, ob sie ihr Buch hier noch signieren würde. Mona folgte der Frau zum Tresen und kramte dabei in ihrer Umhängetasche nach einem Kugelschreiber. Zunächst tastete sie mehrmals ins Leere, dann hatte sie gleich zwei erwischt.

„Tolle Tasche.“

„Eine von vielen, muss ich gestehen. Dafür habe ich keinen Schuhtick – ist ja auch was!“

„Bei mir ist es genau umgekehrt – Schuhe ohne Ende! Schreiben Sie bitte: für Claudia.“ Mona schrieb mehrere Zeilen ins Buch. Sie spürte, dass einige Gäste sie dabei beobachteten – ein angenehmes Gefühl. Die letzte Lesung, erzählte Claudia unterdessen, hätte sie vor Jahren in Köln besucht, inzwischen würde ihr meistens die Zeit für so etwas fehlen. Heute habe es sich ergeben, eine spontane Idee sei es gewesen. Eine nette Abwechslung nach dem Karnevalstrubel und dem Alkohol der letzten Tage. Sie blickte auf ihr Bierglas in der Hand und machte ein verlegenes Gesicht. Mona nickte und erkundigte sich bei Claudia, ob sie sich denn noch an die Lesung von damals erinnern könnte.

„Dass es ziemlich voll war, weiß ich noch. Und es war ein bekannter Autor, aber es ist lange her. Vielleicht, wenn ich ein Foto sehen würde … Es könnte Fitzek gewesen sein oder der Schätzing.“

„Ich erinnere mich an viele Dinge auch nicht mehr. Ein bisschen Alzheimer steckt wohl in jedem von uns. Und jetzt wohnen Sie hier in der Stadt?“

Claudia warf einen raschen Blick auf ihr Smartphone und verstaute es in der vorderen Tasche ihrer dunklen Stonewashed-Jeans. „Seit einigen Jahren schon, vor Kurzem bin ich noch einmal umgezogen. Ich wohne nun etwas oberhalb der Stadtmauer, fast fürs gleiche Geld.“

„Ist bestimmt nicht das Schlechteste.“

„Was?“

„Na, hier zu wohnen. Zumindest wenn man es etwas ruhiger haben will.“

„Da ist was dran! Wenn du das nächste Mal hier bist, komme ich wieder zu deiner Lesung. Trinkst du noch ein Bier mit mir?“

„Warum nicht?“

Claudia drehte sich um. „Mathes, machst du uns noch zwei Kölsch?“

 

Zwanzig Minuten später verabschiedete sich Mona von ihr und den anderen Gästen, die zwischendurch immer ein Auge auf sie geworfen hatten. Sollten sie ruhig – die Frage nach einem Buch wäre ihr natürlich lieber gewesen. Draußen war es noch kälter geworden. Sie ging wenige Meter in Richtung ihres Hotels, der Wolfsschlucht. Aus deren Restaurant drangen gedämpfte Geräusche auf die Straße. Zwei Gäste standen ohne Jacke vor der Eingangstür. Sie redeten nicht miteinander, hatten ihre Pilsgläser in der Hand und rauchten. Beide machten auf Mona einen gelangweilten Eindruck, womöglich waren sie auch nur müde. Davon konnte bei ihr keine Rede sein, sie wollte sich noch etwas bewegen und den Abend mit einem Absacker beschließen. Etwas Heißes wäre nicht schlecht, zur Not würde ein einfacher Glühwein reichen. Die andere Buchhandlung Bad Münstereifels wirkte mit ihren vielen Fenstern im Vorbeigehen geradezu friedlich. Am späten Nachmittag hatte Mona sie betreten und sich gewundert, dass der Verkäufer von ihrer Lesung nichts gewusst hatte. Seine blonden Haare standen ab, als hätte er in der Mittagspause versehentlich in die Steckdose gegriffen. Nach kurzem Nachdenken hatte er ihr schräg gegenüber den richtigen Laden gezeigt und das Missverständnis beendet. Etwa drei Dutzend Flyer und Lesezeichen hatte sie noch bei ihm auslegen dürfen. Jetzt sah sie ihr Werbematerial gut platziert auf einem Beistelltisch liegen. Es sollte sie wundern, wenn das zu keiner Bestellung führte. In einigen Jahren würden ihre Neuerscheinungen ohnehin in den Fenstern aller Buchhandlungen ausgestellt sein. Unter Umständen klappte es schon bei ihrem nächsten Buch, dem Fratzenseher, mit dem sie zuletzt so zügig vorangekommen war. Im Grunde war sie mit dem Manuskript fertig, demnächst würde sie es noch einmal lesen und korrigieren. Den Schluss bekam sie bestimmt noch überzeugender hin. Der Fratzenseher, sie wird das Buch so nennen. Das ziehst du jetzt durch, schwor sie sich.

In ein paar Jahren gäbe es auch keinen Clinch mehr mit solch vernebelten Gestalten wie ihrem Ex, dieser Vollkatastrophe. Sie hatte ihm unglaubliche 200 Euro dafür zahlen müssen, dass sie eines seiner Fotos als Buchcover verwenden durfte. Der scheinheilige Schleimer sprach von einem Freundschaftspreis, das klang gerade so, als hätte sich je einer für seine Bilder interessiert. Was hatte sie bloß damals an diesem ewig abgebrannten Typen gefunden, der ihr zeigen wollte, wie Leben geht? Der war nicht cool, der hatte auch nichts Spirituelles an sich, wie er gerne tat – der Bursche hatte einfach nur sein Leben verpfuscht. So sah es aus. Wäre es nicht so eilig gewesen mit dem Cover, hätte sie sich nie mit ihm verabredet und auf den Deal eingelassen. Einen Hingucker, einen Eyecatcher hatte er versprochen – lächerlich, im Gegensatz zum Inhalt war der Buchumschlag bestenfalls Mittelmaß. Sie hätte wissen müssen, dass man mit ihm besser keine Geschäfte machte. Und als Dank wollte dieser verlogene kleine Mistkerl nun erneut Kohle sehen – für die angeblich unerlaubte Verwendung seines Fotos zu Werbezwecken im Internet und in Print-Medien. Als könnte man für ein Buch werben, ohne das Cover zu zeigen! Wie erbärmlich, am Ende müsste sie sich wieder an ihren coolen Anwalt wenden. Aber vielleicht hatte er inzwischen in einem seiner wenigen, nicht zugekifften Augenblicke ihren Hinweis auf die Pflanzen in seinem Garten verstanden, die der Idiot ihr damals sogar detailliert erklärt hatte. Drohst du mir, droh ich dir! So einfach war das! Zahlen würde sie jedenfalls nicht, niemals, auch wenn ihr das nicht schwerfallen würde. Eher würde sie ihm die verdammte Hütte anzünden! Peinlich genug, dass sie so einen so lange an sich herangelassen hatte. Wenn sie daran dachte, musste sie würgen. Die Trennung vor über einem Jahr war so was von überfällig gewesen. Nicht zu verstehen, was es da zu überlegen gegeben hatte. Monas Vokabular reichte mittlerweile nicht mehr aus, um ihren Ekel und Hass auszudrücken.

Da war die Sache mit ihrem Bruder geradezu harmlos. Irgendetwas sagte ihr schon die ganze Zeit, dass sie ihm verzeihen und es dabei belassen sollte. Er hatte den Fehler eingesehen und sich mehr als großzügig gezeigt. Der Reiz, ihn weiter auszunehmen, bestand eigentlich nur darin, sich an seiner bescheuerten Alten zu rächen. Warum musste sich Frank damals ausgerechnet in dieses arrogante Miststück vergucken?

Ein Sommerurlaub würde sie auf andere Gedanken bringen, würde sie inspirieren. Mallorca, eventuell sollte sie doch nicht darauf verzichten. Mona de la Mare auf den Spuren von George Sand! Jens hatte ihr bei einem der letzten Frühen Dialoge erzählt, dass der berühmten Autorin in jungen Jahren viele Affären nachgesagt wurden. Mit Chopin hatte sie es immerhin neun Jahre ausgehalten. Die Frau muss einen starken eigenen Willen gehabt haben, so wie Mona ihn auch hatte oder haben würde. Nur waren die Zeiten damals schwieriger gewesen, das musste sie zugeben. Ohne etwas von ihr gelesen zu haben, war ihr George Sand sofort sympathisch gewesen.

Trotz des Windes hörte sie das Plätschern des mickrigen Flusses, der sich durch den Ort schlängelte. Wieder fiel ihr ein Name nicht ein, aber bei diesem Flüsschen war das wohl egal.